Der große Tag bricht an, heute ist totale Sonnenfinsternis!
Und wir haben tatsächlich wolkenfreien Himmel, wie wir beim Blick durchs Wohnmobilfenster sehen können, was für ein Traum!
Bereits beim Frühstücken sind wir in heller Aufregung. Wir werden die Sonnenfinsternis bei idealen Sichtverhältnissen beobachten können. Juhuuuu!
Kurze Zeit später wird die Sonne dann vom Mond 'geküsst', die partielle Phase wird eingeläutet, es geht los!
Dass irgendetwas vor sich geht, merken wir schon bald auch an unserer Umgebung. Die Farben sind nicht mehr so gesättigt. Alles ist in ein seltsam fahles Licht getaucht, mit leicht ockerfarbener, gelblich orangener Note. Es wirkt ein bisschen so wie bei einer Set-Ausleuchtung mit Natriumdampflampen. Wir haben wieder einmal das Gefühl, in einer Filmkulisse zu sein.
Nicht nur das Licht hat an Kraft verloren, auch die Temperatur fängt an zu sinken, die Sonne wärmt nicht mehr so stark.
Es ist nun nur noch eine halbe Stunde bis zur totalen Verfinsterung.
Wir treffen die allerletzten Vorbereitungen und nehmen schließlich unsere Plätze ein. Die große Lichtshow kann beginnen.
Während die Damen lieber in der Kinoreihe direkt vor unserem Wohnmobil sitzenbleiben wollen, bevorzugen wir beiden Männer die Rundumsicht der ersten Reihe.
Es ist eine gespenstische Stille, außer einem leichten Wind aus Nordwesten scheint auch die Natur den Atem anzuhalten. Man kann die Spannung förmlich mit dem Messer schneiden.
Selbst der Schall verändert sich, wie unsere Große feststellt. Sie klatscht ein paarmal in die Hände, es klingt tatsächlich, als wären wir in einem Raum.
Wir verfolgen durch unsere Schutzbrillen das Himmelsspektakel. Der Mond schiebt sich langsam von schräg rechts oben über die Sonne, es wird ganz allmählich dunkler, die Hunde schlagen an und man hört immer wieder einen Hahn krähen.
Die Spannung steigt von Minute zu Minute, alles ist auf das unmittelbar bevorstehende Ereignis fokussiert. Wir schauen wie gebannt zum Himmel.
Unserem Sohn kommt es so vor, als würde sich die Sonne hinter den Mond schieben. Sie ist inzwischen selbst zu einer Mondsichel geworden, die immer schmaler und schmaler wird. Die Helligkeit nimmt dabei immer weiter ab, es wird dunkler und dunkler.
Mit jeder Sekunde dieses Schauspiels schwillt die hörbare Begeisterung um uns herum an, gleich wird uns der Kernschatten erreicht haben. Unsere Große fassungslos: "Alter Schwede!" Unser Sohn ganz aus dem Häuschen: "Scheiße ist das dunkel!"
Immer lauter werdende Pfiffe und Wooh-Rufe sind zu hören.
Mit der Erscheinung des schillernd funkelnden "Diamantrings" bricht dann ein Jubelsturm los, Pfeifen, Johlen, Klatschen, Freudenschreie ohne Ende.
Totalität!
Was wir alle in diesem Moment zu sehen bekommen, ist einfach unfassbar schön, zugleich ist es eine Stimmung wie auf einem Rockkonzert – "Woooooh!"
Im Überschwang der Gefühle brechen lautstark alle Dämme, "Ach du Scheiße!", "Geil!", "Woohoohoohoohoo!", "Ist das geil!", "Yay!", der Freudentaumel kennt keine Grenzen.
Wir sehen zum ersten Mal die Sonnenkorona, die Brillen haben wir uns längst heruntergerissen. Was für ein überwältigender Anblick! Unbeschreiblich!
"Schaut euch das an!"
"Holy shit!"
"Wow!"
"Two minutes!"
Wir können sogar einzelne Protuberanzen erkennen, kleine rötliche Bereiche rechts oben am sonst weißen Sonnenrand, gegenüber der Stelle, wo eben noch der Diamant war.
Es passiert so viel gleichzeitig.
Unser Sohn: "Der Horizont! Auf einmal wird alles rot! Das ist kein Sonnenuntergang, das ist einfach nur geil, weil's überall rot ist!"
Unsere Große: "Die Berge!"
Dazwischen auch immer wieder Hundegebell und ein Vogel, der völlig orientierungslos vor sich her tschilpt.
Ein Freudenfest auf dem gesamten Campground, und wir mittendrin.
"Wohohow!"
"Fancy!"
"Yeah!"
"Der Wind ist weg!"
"Die Straßenbeleuchtung geht an!"
"Der Hahn ist auch ruhig!"
"Aw, yeah, look over there!"
"It's Mount Jefferson!"
"Awesome!"
Es ist eine surreale Lichtstimmung. Über uns ist der Himmel bläulich dunkel, ein paar Sterne sind zu sehen, der helle rechts oben müsste die Venus sein, am Horizont ist der Himmel deutlich heller und leicht rötlich, und zwar ringsherum, als wenn soeben überall gleichzeitig Sonnenuntergang gewesen wäre. Und es ist auf einmal windstill.
Inmitten dieser Szenerie prangt am unwirklichen Nachthimmel in feierlicher Erhabenheit die vom Mond verfinsterte Sonne, der große Star der heutigen Show.
Gegen Ende der Totalität tauchen überraschend am südwestlichen Horizont die Bergkuppen der Three Sisters auf, die sich bislang immer hinter Rauchwolken versteckt haben. Dann wird es plötzlich rechts oben an der Sonne etwas heller, der zweite Diamantring ist zu sehen.
"Woow!"
"Yeeeaah!"
Der Mond gibt die Sonne wieder frei, der Jubel flammt erneut auf, Pfiffe, Freudenschreie, Jauchzen, Klatschen, erleichtertes Lachen.
Auf dem ganzen Campground herrscht eine beglückte Atmosphäre. Es wird schlagartig hell und die Temperaturen steigen langsam wieder. Dennoch dauert es von da an noch weit über eine Stunde, bis die Sonne wieder in ihrer vollen Größe und Leuchtkraft am Himmel steht und auch die Farben in unserer Umgebung wieder ihre normale Sättigung haben.
Donna McCormack, bei der wir im letzten November diesen Stellplatz reserviert haben, kommt nach der Sonnenfinsternis persönlich an unserer Site vorbei und begrüßt uns, fragt uns, wie wir es fanden.
Danach gehen die Kinder auf den Spielplatz, sich austoben nach diesem beeindruckenden Naturspektakel. Als sie zurückkommen, hat unsere Jüngste ihr erstes englisches Wort nun endgültig drauf: "Awesome!" Es muss wohl auch bei den Gesprächen der Eltern auf dem gut besuchten Spielplatz sehr häufig gefallen sein.
Unsere Große hat bei einem Gespräch mit anderen Campern von einem Bungee-Jumping-Angebot ganz in der Nähe erfahren, die Absprungstelle sei auf einer hohen Brücke über einem Kerbtal. Durch das Tal fließe ein Fluss namens "Cricked River". Sie fragt, ob wir dort hinfahren können.
Der Vorschlag unserer Tochter klingt interessant und den genauen Ort der Absprungstelle werden wir schon herausfinden. Ich wundere mich nur, dass es hier noch einen zweiten Fluss mit ähnlichem Namen geben soll.
Nach einer kleinen Brotzeit fahren wir kurz an der City Hall vorbei, wo ich Donna nach dem Weg zum Bungee Jumping fragen kann. Hierbei lernen wir gleich die richtige Aussprache des Crooked River kennen, er wird wirklich fast wie "Cricked River" ausgesprochen. Donna wünscht uns noch alles Gute für unsere weitere Reise, dann verabschieden wir uns noch einmal voneinander.
Wir steuern nun die Crooked River High Bridge an, es sollen nur zehn Meilen zu fahren sein.
Der Verkehr in Südrichtung ist etwas zähflüssig, aber damit haben wir rechnen müssen, viele reisen heute schon wieder ab. Doch wir sind momentan erst auf dem Zubringer zum Highway 97, dem "The Dalles-California Highway", Hauptverkehrsader nach Süden dieser Region, wo der Verkehr unter Umständen noch etwas dichter sein wird.
Schon aus der Ferne sehen wir ihn dann, den Mega-Stau. Eine endlos lange, weiße Perlenschnur schiebt sich im Schneckentempo den Highway entlang.
Das gesamte Eclipse-Camp SolarTown scheint gerade auf dem Heimweg nach Kalifornien zu sein.
Wir versuchen noch, über eine alternative Route auszuweichen. Auf diese Idee sind aber einige andere vor uns auch gekommen, viel hat die Aktion nicht gebracht.
Während wir mittlerweile zweispurig in Richtung Süden zuckeln, taucht auf der rechten Seite auf einmal eine große grüne Stahlbrücke auf. Das muss sie sein!
Wir nehmen die nächste Ausfahrt, ausgeschildert mit "P. S. Ogden Scenic Viewpoint". Hier muss heute zur Sonnenfinsternis der Bär gesteppt haben, selbst jetzt stehen in der Zufahrt noch einige wild geparkte Fahrzeuge herum. Nach einer Ehrenrunde um den Parkplatz finden wir ein freies Fleckchen für unser großes Schiff. Für die zehn Meilen von der Culver City Hall bis zum Parkplatz am Scenic Viewpoint haben wir insgesamt mehr als zwei Stunden gebraucht, so langsam waren wir noch nie!
Wir machen uns auf den Weg zur großen Stahlbrücke, um uns die Sache erst einmal anzuschauen. Das Bungee Jumping ist offensichtlich noch in vollem Gange. Der Sprung soll 129 Dollar kosten.
Ganz schön tief runter geht es ja schon.
Da springt gerade wieder einer.
Irgendwann ist die Entscheidung dann gefallen. Unsere Große wird springen ...
... und wir anderen filmen, fotografieren und schauen zu.
Alle sind bereit.
Unsere Große steigt auf die metallene Plattform und wird bis vor an die Absprungkante geleitet, wo sie sich auf der rechten Seite außen an das Geländer stellt.
Sie bekommt die letzten Anweisungen vor dem Sprung: "Here we go! Arms up!"
Jetzt gibt es kein Zurück mehr. "Three, two, one, bungee!" Unsere Tochter lässt sich fallen.
Mit einem enthusiastischen Schrei stürzt sie in die Tiefe.
Sie taucht dabei tief in den Canyon ein, schwingt dann mehrere Male sehr weit auf und ab, bis sie schließlich mit der Motorwinde wieder hochgezogen wird.
Alles im Kasten!
Danach chillen wir noch ein bisschen hier im Park. Die Kinder üben sich im Bodenturnen, Poi Spinning und natürlich Drohne fliegen.
Langsam wird es Abend und wir machen uns auf den Rückweg. Wir wollen uns nun noch den Sonnenuntergang am "Baby Grand Canyon" im Cove Palisades State Park anschauen.
Auch bei unserem Aufbruch gegen 19 Uhr ist der Highway 97 in Südrichtung immer noch ein einziger zweispuriger Stau.
In Richtung Norden ist die Straße vollkommen frei.
Wir sind voller Euphorie, es war der schönste Tag bisher. Das Top-Highlight unserer Reise, die totale Sonnenfinsternis, war einfach nur grandios und wird uns ewig in Erinnerung bleiben. Auch unsere Große ist noch ganz aufgewühlt von den vielen Erlebnissen des heutigen Tages und meint, dass sie eigentlich erst jetzt so richtig im Camperleben angekommen sei, davor sei alles noch so neu gewesen.
Wir sehen die Sonne am orangegefärbten Himmel in den Rauchwolken des Milli Fire verschwinden, am Horizont erkennen wir Mount Jefferson.
An der Einfahrt in den Cove Palisades State Park fahren wir diesmal nicht geradeaus, sondern biegen nach rechts in den Southwest Mountain View Drive ab.
Unser Ziel ist der nördlichste Viewpoint, am Ende der Southwest Pearl Road.
Noch auf dem Southwest Mountain View Drive werden wir vom betörenden Duft des Wüsten-Beifuß begrüßt, selbst bei geschlossenen Fenstern ist er deutlich zu spüren.
Es ist eine herrlich friedliche Abendstimmung.
Beim Einbiegen in die Southwest Pearl Road geht ein "Wow!" durchs ganze Wohnmobil. Wir fahren direkt auf die untergehende Sonne und Mount Jefferson zu.
Wir halten genau vor der Felskante mit Blick auf die Nordspitze der Halbinsel "The Island".
Von hier können wir auch Mount Jefferson gut beobachten. Der ruhende Vulkan macht auf uns den Eindruck, als würde er gleich wieder anfangen, Feuer zu spucken.
Wir erleben einen wunderschönen, stimmungsvollen Sonnenuntergang.
Jetzt essen wir hier an diesem schönen Aussichtspunkt noch. Es gibt Reis mit Hühnchen und Mangold, lecker!
Auf der Rückfahrt dumpen wir noch auf dem Crooked River Campground, was selbst im Dunkeln schnell erledigt ist. Es ist keiner da, dem wir Geld fürs Dumpen geben könnten, wir suchen aber auch nicht extra.
Unseren Frischwassertank befüllen wir 'daheim' am Culver City Park. Es gibt eine Zapfstelle in der Nähe der Einfahrt, unweit des Spielplatzes, die wir sofort finden.
Wieder an unserer Site angekommen probieren wir noch unseren Backofen aus, wir wollen für morgen früh eigenes Brot backen. Wir bekommen den Ofen aber nicht in Gang gesetzt, es gibt immer nur eine kleine Verpuffung. Eventuell liegt ja ein Problem an der Gaszuleitung vor. Wir versuchen es noch ein paar Mal, es klappt aber nicht. Das Gas entzündet sich wiederholt an einer undichten Stelle am Gasschlauch und nicht am regulären Gasaustritt. Wir lassen es lieber sein, bevor wir noch das Wohnmobil abfackeln.
Wir frieren den Teig ein, wir werden das Brot dann irgendwann in der Alufolie am Lagerfeuer backen, hier auf dem improvisierten Campground haben wir ja keinen Feuerring.
Nach einem mehr als erlebnisreichen Tag fallen wir alle müde in unsere Betten.
Gratulation Alex zu diesem fantastischem Tag
Liebe Grüße aus Berlin,
Thomas
Locker bleiben, Ball flach halten dann wird es ein perfekter Womourlaub
Hallo Alex,
ein wirklich beeindruckender Tag, den ihr sicher nicht so schnell vergessen werdet. Und tolle Bilder! Mir gefallen der unwirkliche "Nachthimmel" mit der ringförmigen Sonne und der Mount Jefferson mit Sonnenuntergang ganz besonders. Natürlich auch die Actionszenen, in denen sich eure mutige Tochter in die Tiefe wirft ... Gänsehaut!
Bin gespannt, wie es bei euch weitergeht.
Viele Grüsse, Irma
2012 Südwesten 2015 Yellowstone/Badlands/RMNP Herbstfahrer's Reiseberichte
Hallo :)
was für ein toller Tag. Ich häng mich mal an deinen Bericht ran.
Tolle Bilder und super ausführlich :)
LG Christina
Ich grüße dich Alex
und bekomme mittels deines Berichtes jetzt das, was wir gesehen hätten, wären wir knapp zwei Wochen später vor Ort gewesen.
Die Campgrounds waren bei uns wie ausgestorben. Damals hatten wir zwar heißes Wetter, aber die Sicht auf den blauen Himmel war dunstig und Fernsicht praktisch nicht vorhanden. Da hattet ihr zur richtigen Zeit richtig Glück.
Den Peter Skene Ogden Scenic Viewpoint haben wir auch besucht, ohne jedoch Bungee Jumping-Aktivitäten festzustellen.
Die Sonnenfinsternis haben wir dann im südlichen Alberta verfolgen können, jedoch natürlich nicht so eindrucksvoll wie ihr.
Wesentlich dunkler wurde es dort nicht, jedoch auch um einiges kühler.
Beste Grüße vom HANS
JEDE REISE BEGINNT MIT DEM ERSTEN SCHRITT
Hallo Thomas,
Danke!
Hallo Irma,
Vielen Dank. Der Tag bleibt sicher für immer. Und du darfst gespannt bleiben.
Hallo Christina,
Danke! Häng dich ruhig ran.
Hallo Hans,
der Crooked River Campground war rappelvoll. Es wurde dort sogar noch ein Feld mit Ausweich-Sites für Zelter aufgemacht, direkt neben dem Campground, dieses Feld war ebenfalls zum Brechen überladen, wie wir beim Vorbeifahren am Campground sehen konnten.
Das Wetter war wirklich optimal, die Fernsicht nur wegen der Waldbrände etwas schlechter.
Das Bungee Jumping macht immer auch mal tageweise Pause, während der Saison gibt es einen online einsehbaren Terminkalender, in dem man dann reservieren kann.
Die Sonnenfinsternis in der Totalität zu erleben war im Vergleich zu einer partiellen Sonnenfinsternis ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Viele Grüße
Alex
I love not man the less, but nature more
Reisebericht "The Big Circle" (LAX-LAX)
Hallo Alex,
ein toller Bericht von einem außergewöhnlichen Tag -- auch jetzt noch mit Begeisterung zu lesen !
Grüße
Bernhard
Scout Womo-Abenteuer.de
Was hilft aller Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen (G.C. Lichtenberg)
Hallo Bernhard,
Danke!
Viele Grüße
Alex
I love not man the less, but nature more
Reisebericht "The Big Circle" (LAX-LAX)