4:30 Uhr im Yosemite Valley: Ein Weckerklingeln stört die Stille in der Womoline und ich bin erst einmal völlig verwirrt – zur Arbeit? Heute? Zum Glück kehrt jedoch schnell die Erinnerung zurück … „Arbeit“ der anderen Art ist angesagt J Schnell wird ein Käffchen aufgebrüht und der Männe kredenzt leckeres Rührei, von dem ich kaum etwas hinunterbekomme, es ist einfach zu früh und ich bin zu aufgeregt.
Vor dem Four Mile Trail, um zum Glacier Point und damit zum Trailhead des Panorama Trail zu gelangen, habe ich echten Respekt – zwar ist die Steigung auf dem Trail sehr beständig, aber eben auch durchgehend, ohne die Chance, sich zwischenzeitlich zu erholen.
Mittlerweile ist es Mitte September, so dass es recht früh am Abend dunkel wird, und wir zur Sicherheit mit dem ersten Morgengrauen in den Anstieg gehen wollen, um ausreichend Zeit für die knapp 15 Meilen zu haben. Das bedeutet allerdings auch gleichzeitig, dass wir unseren Gesamtmeilen am heutigen Tage direkt zwei zusätzliche Meilen (Distanz vom CG zum Trailhead) hinzufügen können, denn der Shuttle fährt noch nicht. Ein bisschen warmlaufen, ist aber bestimmt nicht verkehrt.
Mit Stirnlampen bewegen wir uns durch das Valley und halten Ausschau nach Bären oder anderen Tieren, die sich im Dunkeln verbergen könnten – nicht nur einmal drehe ich mich bei einem Knacken im Unterholz hektisch um die eigene Achse J Am Trailhead ist es dann hell genug, um den Anstieg ohne Hilfsmittel in Angriff zu nehmen. Apropos Hilfsmittel … das Mückenspray, dass wir extra für den heutigen Tag bereitgestellt hatten, lag wohlbehalten und unnütz in der Womoline. Das rächte sich.
Auf den ersten knapp 1,5 Meilen wurden wir schamlos von unzähligen Mückenschwärmen attackiert. Zum Glück hatten wir uns beide für lange Wanderhosen entschieden, für den Rest entwickelte ich schnell einen soliden „Klammergriff“ um dem Halsbereich der Überziehjacke, so dass einzig mein Gesicht herausguckte. Netter Nebeneffekt: Ich war so genervt von dem Getier, dass ich die Steigung kaum wahrnahm und mit gutem Tempo nach oben – weg aus der Strauch- und Mückenzone – stapfte.
Nachdem wir etwa ein Drittel der Höhenmeter gemeistert hatten, wurde es deutlich heller und lichter und die stechwüchtigen Viecher weniger. So langsam konnte man erahnen, welch fantastischen Ausblicke noch auf uns warteten.
Immer mal wieder machten wir in einer Kehre ein Päuschen, schossen Fotos und amüsierten uns über ein Grauhörnchen, was emsig von A nach B lief, um seinen Nüssevorrat für den Winter aufzustocken.
Der Trail war steil, keine Frage, doch die Schnelligkeit mit der wir Höhe gewannen und der Umstand, dass der Blick ins Tal immer sehenswerter wurde, hielten meine Stimmung und mein Gemopper, ob der Anstrengung am frühen Morgen, stabil. Der Motivationsspruch meines Männe „Nur noch 100 Höhenmeter, dann sind wir da.“ – was natürlich eine glatte Lüge war J - brannte sich ein und begleitete uns im weiteren Verlauf unseres Urlaubs.
Insbesondere der letzte Teil des Trails, bevor man für ein paar hundert Meter in den Wald abbiegt, um hinten herum an den Glacier Point zu gelangen, ist sehenswert. Der Blick öffnet sich in Richtung der Yosemite Falls und man folgt dem (breiten) Trail an der Kante des Felsens entlang. Waren wir zu Beginn des Anstiegs noch völlig allein und begegeneten in etwa einem guten Dutzend Personen, die ebenfalls auf dem Weg nach oben waren, kamen uns gegen Ende immer mehr Wanderer von oben entgegen, um die guten Ausblicke vom Trail aus zu genießen.
Die letzten Meter ziehen sich, doch dann stehen wir endlich am Ende bzw. am Anfang des Trails und sind zurück an dem Ort, der uns gestern den Atem geraubt hat. Es ist etwa 10 Uhr und wir haben uns eine Pause verdient. Wir versorgen uns im Shop mit einem Poppy Muffin und beobachten das rege Kommen und Gehen. Hier ist echt einiges los. Wir werden von einem lieben Österreicher angesprochen, der ebenfalls über den Four Mile Trail hinaufgewandert ist und verquatschen uns.
Nachdem die Beine beim Aufstehen von unserer „Pausenbank“ bereits gefährlich schmerzen, ist klar, wir müssen weiter! Wir verabschieden uns und laufen über das Amphitheater am Glacier Point in Richtung Panorama Trail.
Und Panorama ist hier wahrlich Programm. Ich kann meine Augen kaum von dem Anblick dieser unglaublichen Landschaft losreißen und bin froh, dass der Trail angenehm zu laufen ist und wenig Stolperpotenzial birgt.
Besonders verrückt fühlt es sich an, dass wir in einigen Stunden auf der genau anderen Seite „rechts“ neben den Nevada und Vernal Falls über den John Muir Trail wieder hinabsteigen werden,
Das Wetter ist fantastisch und so stiefeln wir mit guter Laune in Richtung Illilouette Falls bzw. in Richtung des frontalen Aussichtpunktes. Hier ist es etwas belebter als auf dem Four Mile Trail und wir stoßen auf dem weiteren Weg immer mal wieder auf andere Wanderer, doch im Hinblick darauf, dass wir uns mitten im Yosemite Valley befinden, ist es hier fast einsam J
Wir steigen unzählige Höhenmeter über langgezogene Serpentinen hinab (oh nein, die müssen wir später wieder hinauf) und landen dann an einem Flußlauf, den wir über eine Brücke, die gerade Stück für Stück erneuert wird, überwinden. Ein Päuschen auf den warmen Steinen am Wasser, bevor es noch einmal ein Stück nach oben geht, ist jetzt genau das Richtige.
Wir erfrischen uns und nehmen dann den Trail wieder unter die Füße. Mittlerweile ist es Mittag und die Sone brennt auf uns herab. Vielleicht fühlen sich die Höhenmeter hinauf vom Flussbett deshalb so gemein an … aber immerhin sind wir auch bereits fast 7 Stunden unterwegs.
Ich nutze den Schatten der Pinienbäume immer wieder für ein Verschnaufspäuschen, motiviert durch die größer werdende Kehrseite des Half Dome, der die Nähe zum nächsten Highlight, den Nevada Falls, verheißt.
Wir treffen auf die Gabelung des John Muir Trail und zack … vorbei ist es mit der Ruhe und Beschaulichkeit J Wir reihen uns in die Menschenschlange ein und bestaunen, wie viele andere auch, die noch immer einiges an Wasser führenden Nevada Falls. Wir wagen uns über die Brücke und bewundern die Fälle von allen Seiten, bevor wir den laaangen Abstieg über den John Muir Trail in Angriff nehmen.
Die Alternativmöglichkeit für den Abstieg, der Mist Trail, ist vor den Vernal Falls aufgrund von Instandsetzungsarbeiten tagsüber unter der Woche gesperrt, so dass wir uns der Entscheidung von mehr Stufen vs. mehr Strecke gar nicht stellen müssen.
Auch hier bieten sich immer wieder fantastische Ausblicke und wir haben das Glück, die Nevada Falls mit kleinem Regenbogen ablichten zu können. Der stückweise feuchte Weg entlang des Felsens mit tiefen Rissen durch die man nach unten gucken kann, lösen insbesondere bei meinem Männe nervöses Stirnrunzeln aus. Wir stapfen vorsichtig durch die Nässe und schaffen es ohne Sturz auf den glitschigen Felsen auf die andere Seite.
Von hier aus geht es nur noch bergab, Kehre um Kehre, Meile um Meile. Unsere Knie beginnen zu schmerzen, aber noch haben wir einiges vor uns. Wir lenken uns mit „Leute gucken“ ab – hier ist alles und jeder unterwegs. Wir sehen nicht nur FlipFlop Touris, sondern insbesondere junge Mädels, die top gestyled auf dem Weg nach oben zu den Falls sind, um coole Fotos zu schießen – bis auf ein Handy und eine kleine Flasche Wasser in der Hand jedoch nichts dabei haben.
Wie häufig wir gefragt wurden, wie weit es denn noch bis nach ganz oben wäre, kann ich nicht mehr sagen … die entsetzten Blicke auf mein sinngemäßes „schon noch n Stückchen“ haben sich jedoch in mein Hirn gebrannt J
Wir erreichen die Brücke, von der man einen tollen Blick hinauf zu den Vernal Falls hat. Hier gibt es Frischwasser und Toiletten (hurra!). Spätestens ab hier ist wieder Jahrmartkstimmung angesagt, es ist voll. Wir nehmen die Beine in die Hand und lassen die letzte Meile auf asphaltiertem Grund in Rekordzeit hinter uns.
Als wir auf den Merced River stoßen breitet sich ein Lächeln auf unseren Gesichtern aus, geschafft! Four Mile und Panorama Trail in einer einzigen epischen Tagesrunde bei Königswetter. Die Füße brennen, unser Powerade Vorrat und die Wasserblase vom Männe sind restlos geleert, aber neu im Gepäck sind viele einzigartige Erinnerungen an einen fantastischen Wandertag.
Plan A den Shuttle vom Happy Isles Stop zu nutzen, werfen wir innerhalb von Sekunden über Bord, als wir sehen, wie voll der gerade abfahrende Bus ist. Also noch einmal ne gute Meile – nun aber nur noch im „Schnecken“tempo – laufen.
An unserer Site angekommen, werfen wir die Wanderschuhe und den Rucksack von uns und waten in den eiskalten Merced River. Herrlich!
Die Sorge vor dem Four Mile Trail bei mir, war völlig unbegründet. Ja, der Aufstieg war anstrengend, doch durch die kontinuierlichen Highlights und kleineren Pausen, war auch diese lange Strecke problemlos zu meistern. Unangenehm war vor allem der steile Abstieg (!) auf festem Grund und die Menschenmassen gegen Ende auf dem John Muir Trail.
Wander-Bilanz des Tages: Fast 30 km (also gute 18 Meilen) und 1350 Höhenmeter in 9,5 Stunden.
Lieben Gruß
Annika
Hi Annika,
Respekt vor eurer fantastischen Leistung! Was für herrliche Eindrücke auf diesem Hike. Meine Vorfreude steigt, obwohl ich realistisch sein sollte und die komplette Kombi eher nicht packe. Da muss zum Glacier Point wohl das Shuttle herhalten.
Ich würde lieber hoch laufen und dafür runter fahren…, die Knie…😉
Liebe Grüße
Elli
Scout Womo-Abenteuer.de
Hey Annika,
einfach Wow - die Bilder sehen fantastisch aus, super dass ihr so einen tollen Tag hattet und alles geklappt hat. So sieht ein perfekter Wandertag aus. Ich würde am liebsten auch direkt los!
Liebe Grüße Tina
I´d rather have a passport full of stamps than a house full of stuff !
Hallo Annika,
wirklich klasse Eindrücke die du uns hier hinterlässt :) Eine Frage noch: habt ihr Vorkehrungen getroffen für eventuelle Bärenbegegnungen (Bärenspray?) ? Oder ist das auf den Trails gar nicht so das Thema?
Danke und Gruß
Rebecca
Liebe Annika, da werden großartige Erinnerungen wach und die letzte Meile ist bei uns exakt so gelaufen... warten auf den nächsten, übervollen Bus? Ach komm, jetzt ist's auch schon egal 🤣.
Vielen Dank fürs Teilen eurer Erlebnisse!
Viele Grüße von Michaela
https://exploring509.de/
Moin in die Runde,
lieben Dank euch! Ja, der Tag war großartig und hat gezeigt, dass man - wenn man sich die Ruhe antut und sich vernünftig vorbereitet - so einiges mehr schafft, als man vorher denkt :)
Nein, wir hatten nichts Spezielles dabei. Die Trails im Valley sind im Vergleich sehr belebt, so dass ich mir da keine Sorgen gemacht habe. Einzig in der Morgendämmerung bei Zwielicht waren wir vorsichtiger und sind z. B. auch direkt an der Straße entlang und nicht über den im Gebüsch angrenzenden Weg gelaufen. Haben Licht dabei gehabt und kontinuierlich gequatscht. Nach vier Reisen in die USA, auch in einsame Bereiche (inkl. Yellowstone, Sequoia, Rocky Mountain NP) , und keiner einzigen Bärensichtung war ich zugegebenermaßen aber auch etwas abgestumpft
Zu 100% genau das, Michaela, musste gerade direkt lachen!
Lieben Gruß
Annika
Hi Annika,
meinen Respekt für die Kombination dieser beiden Wanderungen ! Ich war schon recht ausgelastet mit den Ab- und Aufstiegen ab Glacier Point und über die beiden Falls. Abder diese sehr schöne Landschaft und die Freude, sie mit vielen Schritten erreicht zu haben, wirkt auch nach 20 Jahren noch nach! Ich wünsche euch, dass ihr euch lange daran erinnert.
Viele Grüße
Bernhard
Scout Womo-Abenteuer.de
Was hilft aller Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen (G.C. Lichtenberg)
wow wow wow - großen Respekt für diese tolle Wanderung.
Liebe Grüße vom Fred
Auch von mir Respekt,
seid ihr auch außerhalb der Reisen oft wandern, bzw. ein bisschen trainiert? Ich denke mal ein jeder wird das nicht ohne weiters nachmachen können oder?
Ich hätte da ja auch bock drauf diesen Weg zu laufen, aber ich glaube das macht meine liebste nicht mit
Ich hoffe so sehr das es noch einmal klappt in den Yosemite NP zu kommen
Gruß Alex
Einmal USA und infiziert!
Moin Alex,
danke! Wir sind im Alltag durchschnittlich aktiv, würde ich sagen. Der Männe geht 2x die Woche laufen und wir gemeinsam 1x die Woche Badminton spielen. Er ist also ziemlich fit, aber bei mir war es das mit dem Badminton dann auch, bin eher die gemütliche Couchpotatoe Wandern tun wir meist nur im Urlaub, sporadisch auch mal hier im Pott im Sommer, aber das ist kaum der Rede wert.
In 2022 waren wir sehr aktiv in den roten Steinen in Arizona / Utah unterwegs, dort sind wir im Vorfeld bewusst 2-3x längere Strecken zu Hause gelaufen, um nicht eingerostet zu sein und +20 km am Tag laufen zu können. Ich insbesondere hatte damals Respekt vor der zusätzlichen Belastung durch die Hitze und wollte dem entgegenwirken. In 2023 haben wir uns aber nicht "vorbereitet", sondern sind mit unserer Alltagskonstitution los.
Die Kombi aus perfektem Wanderwetter und dem gleichmäßigen (!) Anstieg war sehr günstig für mich. Durch die gute Aufteilung des Hikes (immer wieder ein Highlight zwischendurch, nie "jetzt 6 Meilen durch gleichbleibende Umgebung durchackern") konnte man immer wieder verschnaufen. Mit Mitte 30 und ohne Zipperlein haben wir aber natürlich auch nicht die schlechteste Ausgangssituation.
Wirklich belastend war der Abstieg, den man nicht unterschätzen sollte mMn. Wer hier erschöpft und unkonzentriert hinunterläuft, verstaucht sich schnell etwas - Steine und Unebenheiten gibt es auf solchen Trails ja viele. Wenn ihr euch unsicher seid: Der Panorama Trail allein ist mehr als lohnenswert und gut zu meistern - hätte es den Shuttle zum Glacier Point gegeben, wäre ich dort auch aufgesprungen :)
Lieben Gruß
Annika
Hallo Annika,
einfach nur beeindruckend! So eine klasse Leistung, diesen Tag werdet ihr nie vergessen.
LG Inga